„FLEISCHEREIEN MÜSSEN SICH INSZENIEREN“

Das Fleischerei-Handwerk gehört zu den Branchen mit Personalsorgen. Transparenz, eine gute Wortwahl und das richtige Maß an Social Media können dazu beitragen, die Sorgen zu lindern.

Die Fleischerei Sundermann ist die einzige Fleischerei in Lengerich, einer Stadt mit 22.500 Einwohnern zwischen Münster und Osnabrück. Wenige Jahre vor dem 100. Firmengeburtstag steht Inhaber Jörg Sundermann vor einem massiven Problem: Er findet keine Mitarbeiter und muss deshalb eine seiner Filialen schließen. Seit anderthalb Jahren sucht er einen Gesellen, den Verkäufer-Azubi nennt er „einen Glücksgriff“ (siehe „Vier Fragen an …“). Sandra Engel-Dälken, Inhaberin der Personalberatung und -vermittlung Fleischlotse in Bad Schwartau, kennt das Problem aus ihrer Region. Allein Anfang März meldeten die „Lübecker Nachrichten“ wegen fehlender Nachfolge das bevorstehende Aus dreier Traditions-Metzgereien in den Ostholsteiner Orten Heiligenhafen, Lensahn und Ratekau. Egal, ob Gesellen, Fachverkäuferinnen oder Nachfolger – die Fleischerei gehört zu den Handwerken mit Personalsorgen. Engel-Dälken sieht dafür eine ganze Reihe von Ursachen, allen voran ein schlechtes Image. „Fleischerei gilt nicht als sexy Ausbildungsberuf“, sagt sie. Die Branche habe lange Zeit sehr schlecht bezahlt.

Fortbildungsmöglichkeiten unter anderem zum Fleischermeister, Lebensmitteltechnologen oder -techniker sowie zum Betriebswirt seien vielen nicht bekannt, ebenso Aufstiegschancen in Betriebsleitung oder Geschäftsführung. Zudem hätten Covid-19 Ausbrüche in großen Schlacht- und Verarbeitungsbetrieben dem Ansehen unverhältnismäßig geschadet, auch durch oft recht einseitige Berichterstattung.

Gleichzeitig ist das Image der Punkt, an dem Fleischerei-Betriebe ansetzen können, die neue Leute suchen. Christina Feltes, Account-Managerin des auf Food-Berufe spezialisierten Karriere- und Stellenportals Brain4Food, sagt klar: „Recruiting geht, je nach Zielgruppe, nicht mehr ohne Inszenierungen. Auch Fleischereien werden daran nicht mehr so leicht vorbeikommen – sie müssen sich inszenieren.“ – Bloß wie?

Um mögliche neue Kolleginnen und Kollegen anzusprechen, muss man auch als kleiner Betrieb etwas fürs Wertesystem tun.“ – Sandra Engel-Dälken

Die Beraterinnen sehen vier Dimensionen:

ERSTENS
Zeigen, was man macht.

Feltes spricht von „Einblicken in das Privatleben von Firmen“: Wie geht es den Beschäftigten? Wie ist die Stimmung? Wie sieht es in den hinteren Räumen aus? Wie geht das Unternehmen mit Schwangerschaften um? Wird auf die Work-Life-Balance geachtet? Welche Vorteile gibt es für den Einkauf im eigenen Haus? Nach welchen Maßstäben wird eingekauft – und wo? „Um mögliche neue Kolleginnen und Kollegen anzusprechen, muss man auch als kleiner Betrieb etwas für mehr Nachhaltigkeit und Transparenz sowie fürs Wertesystem tun und zeigen, dass man und wie man sich als moderner Betrieb für Dinge starkmacht“, so Engel-Dälken

ZWEITENS
Das Stellenangebot richtig verpacken.

Vielleicht, so überlegen Fleischlotse und Brain4Food, wäre es an der Zeit, neue Begriffe zu verwenden – etwa „Ernährungsexperte“ statt „Fleischer“. Junge Leute könnten damit gelockt werden, dass sie die Verantwortung für den Social-Media-Auftritt der Fleischerei bekommen. Und vegetarische oder vegane Angebote im Haus bis hin zu New Meat lassen sich ebenfalls gut herausstellen – auch Betriebe mit 100-jähriger Tradition zeigen so, dass sie offen für neue Trends sind.

DRITTENS
Social Media bespielen.

Soziale Medien – „darum kommen auch Handwerksbetriebe nicht herum“, schätzt Sandra Engel-Dälken. Christina Feltes weiß, dass gerade kleinen Betrieben die Zeit fehlt, regelmäßig Fotos oder kurze Texte zu posten. Aber: „Auch mit wenig Inhalt kann man gerade so viel Aufmerksamkeit erzielen wie nie zuvor.“ Brain4Food sieht für die Ansprache jüngerer Leute unter anderem Instagram als Kanal der Wahl, hat aber auch mit dem Posten auf den Schwarzen Facebook-Brettern von Weiterbildungsinstituten schon Erfolg gehabt. Generell gelten Bilder oft als aufmerksamkeitsstärker als Texte, wobei sich die Videoplattform TikTok für die Mitarbeitersuche wohl noch durchsetzen müsse.

VIERTENS
Auf externe Unterstützung zugreifen.

Viele Handwerkskammern und IHKs bieten Unterstützung bei der Suche nach neuen Leuten, auch zum Beispiel Eigenkapitalprogramme für die Nachfolge-Suche. Das Projekt „Praktikumswoche“ (Praktikumswoche.de) setzt in den Schulferien Serien-Tagespraktika für Schüler auf, nach eigenen Angaben mit mehr als 600 Unternehmen in elf Regionen. Und der „Fleischer-Test“ des Deutschen Fleischer-Verbands (Fleischerberufe.de/jobcheck/fleischer-test) lässt sich in den eigenen Social-Media-Profilen verlinken. Eins allerdings können einzelne Fleischereien nicht ändern. „Die Bezahlung in der Fleischerei-Branche liegt niedriger als in anderen Handwerksberufen, und die Zahl der Vorschriften wächst ständig“, sagt Sandra Engel-Dälken. „Es ist eine gesellschaftliche und politische Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die Arbeit lohnt und es auch in Zukunft Handwerk gibt.“

Stefan Becker

Quelle: „Magazin ,75 Jahre ZENTRAG‘, © ZENTRAG/Deutscher Fachverlag“ – 07/2022